Grauzonen - Rechte jugendliche Lebenswelten

Ableism / Behindertenfeindlichkeit: 
»Deine Mutter liebt dich, obwohl du Spast behindert bist.«

»Du bist doch behindert«, »Du Mongo«, »Du Spast« – diese Zuschreibungen finden sich nicht nur in Szenen der rechten Lebenswelten. Stärker als antisemitische oder rassistische Ausfälle sind diese Äußerungen im alltäglichen Sprachgebrauch akzeptiert, selbst kritische Menschen erkennen darin oft »nur« eine Verrohung der Sprache. Doch dahinter steht – und sei es unbewusst – die Abwertung und Ausgrenzung von Menschen, die physisch und psychisch als »nicht normal« gelten und vorausgesetzte Leistungskriterien nicht erfüllen würden. Behindertenfeindliche Sprüche sind vielfach Ausdruck einer manifesten Hackordnung in einer Szene und einer Gesellschaft, die diejenigen, die als »schwach« und nicht konkurrenzfähig erklärt werden, zurücksetzt oder aussortiert. Dabei werden nicht nur optische Auffälligkeiten wie Rollstuhlfahren als Makel erkannt und als minderwertig markiert, sondern auch psychische Krisen (die als »Störungen« wahrgenommen wer­den) und soziale Normabweichungen.

Mitleid meint Respektlosigkeit

Tatsächlich sind direkte Anfeindungen von Rollstuhlfahrenden in Fußballstadien, auf Deutschrockkonzerten, Oi-Konzerten und selbst auf Rockertreffen kaum bekannt und konsensfähig. Durch einen Unfall auf den Rollstuhl angewiesen zu sein oder an Krebs zu erkranken, kann jedem Menschen passieren und gilt – nicht nur wenn es Szenezugehörige trifft – als bemitleidenswertes Schicksal, das durchaus Hilfsbereitschaft hervorrufen und die Solidargemeinschaft aktivieren kann.

Die Ansicht, dass Menschen an ihren Behinderungen »leiden« würden, ist gesellschaftlich weit verbreitet, wird jedoch den Bedürfnissen Behinderter nicht gerecht. So schreibt der Blogger Heiko ­Kunert: »Ihr Mitleid ist keine Hilfsbereitschaft, ihr Mitleid ist Überheblichkeit. Sie nehmen mich nicht als gleichberechtigten Menschen, sondern als hilfebedürftiges Wesen wahr. Sie übertragen ihr abwertendes Bild von Behinderung auf die behinderten Menschen selbst – ich jedenfalls hatte den Eindruck, mich für meine Blindheit rechtfertigen zu müssen.« 1

Ableism als Säule der Männerwelt

Mit Rollstuhlfahrenden oder Blinden lassen sich von vielen nicht behinderten Menschen zumindest auf der kognitiven und emotionalen Ebene Gemeinsamkeiten finden. Die Personen scheinen be­rechenbar. Zugleich gibt es keine Erfahrungen, dass in Fußballstadien und (nicht nur rechten!) Rockkonzerten beispielsweise Menschen mit Down-Syndrom mitfeiern können. Es findet sich mit ihnen zu wenig Gemeinsamkeit in Sprachinhalten, Gesten oder Ideologien. Sie gelten als unberechenbar und fremd. Ihnen werden »eigene Räume« zugestanden, in denen sie »unter sich« zu bleiben hätten.

coloniaspastica

Der behindertenfeindliche Spruch »Colonia Spastica«, der sich gegen Fans des 1. FC Köln richtet, wird als Motiv auf Aufklebern und Schals kommerziell verbreitet. Screenshot: www.klebermafia.de/aufkleber-vereinsartikel/anti-aufkleber/

 

Psychische Schwierigkeiten werden als solche oft nicht anerkannt. Grafiken, die auf Facebook kursieren, zeigen den Spruch: »Wenn wir früher ADHS hatten, haben wir eine geknallt gekriegt und waren wieder gesund.« Diese wird nicht nur von extremen Rechten verbreitet und zustimmend kommentiert, sondern insbesondere auch von Personen, die rechten Fußball-, Kampfsport- und Rockerszenen angehören, sich aber dezidiert unpolitisch verstehen. Der Spruch findet sich auf manchen virtuellen »Witzseiten« und auf Kritik an diesem erfolgen bisweilen Antworten wie: »Ein perfektes Beispiel in den Kommentaren, dass unsere linken Gutmenschen nicht mal mehr Humor verstehen.« AHDS meint die Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung, die meist im Verhalten zumeist bei Kindern und Jugendlichen diagnostiziert wird. Die Grafik und sich darauf beziehende Kommentare verdeutlichen die Verachtung derjenigen, die davon betroffen sind. Gerade in den Persönlichkeitskonzepten der soldatischen Männlichkeit gelten Auffälligkeiten wie ADHS als Einbildung, Makel und Zeichen von Schwäche, der durch männliche Härte – auch durch Gewalt gegen Kinder und Jugendliche – abgeholfen werden müsse.

Behindertenfeindlichkeit in Hiphop-Liedern

Behindertenfeindliche Zuschreibungen finden sich immer wieder in Liedern und Aussagen von Rappern. Es sind dort fast ausschließlich Botschaften von Männern an Männer. Die Gleichsetzung der Anderen mit Spastikern oder Behinderten zielt darauf, ihnen jede Anerkennung zu verweigern und sie als Konkurrenten auszuschalten. Das Selbstbild der Interpreten basiert auf »Coolness«, was Prestige, Macht, Einfluss und Attraktivität meint. »Behindert sein« steht in ihrer Vorstellung für einen Zustand, in dem nichts »cool« sein kann. Hier schwingt der Aspekt mit, dass Behinderten (auch gesamtgesellschaftlich) keine sexuelle Attraktivität, nicht einmal Sexualität an sich zuerkannt wird. »Du bist doch behindert« meint auch, dem Konkurrenten die Männlichkeit abzusprechen, ihn über Sprache zu entstellen und als unberührbar zu erklären. Im Song »Klassenfahrt« des Berliner Rappers Bass Sultan Hengzt heißt es ohne erkennbare Ironie:

»Du stehst im Visier, Nutte wie am Schießstand. Klick, klack, bang, ich töte Rapper wie am Fließband. Es gibt so viele Rapper, sag wohin damit. Deine Mutter liebt dich, obwohl du Spast behindert bist.«

Bass Sultan Hengzt zählt zu den populären Rappern in Deutschland und arbeitete in der Vergangenheit unter anderem mit Bushido und dem Soul-Sänger Xavier Naidoo zusammen.

In etlichen Liedern auf verschiedenen Alben beschimpft auch der Rapper Kool Savas aus Berlin seine Konkurrenten als »behindert«. Zum Beispiel in dem ultrasexistischen Song »Blasen«:

»Ich kralle mir deine Freundin und lass es knacken. Keine Ahnung warum MCs sich ihrer Minderwertigkeit nicht bewusst sind. Neben mir siehst du behindert aus. Ich mache dir den Garaus und geh aufs Ganze.«

Zusammen mit Xavier Naidoo bildet Kool Savas das Musikprojekt Xavas, dessen Album »Gespaltene Persönlichkeit« 2012 viele Wochen auf Platz eins der deutschen Musikcharts notiert war. Das Album enthält den wegen Homosexuellenfeindlichkeit kritisierten Song »Wo sind sie jetzt?«. Am 18. Juli 2015 sang Kool Savas das Einlauflied (»Märtyrer«) für den Boxer Arthur Abraham bei dessen Weltmeisterschaftskampf in Halle/Westfalen.

 

1 Heiko Kunert, Umgang mit behinderten Menschen: Euer Mitleid kotzt mich an!, vom 22.08.2010, in: http://blindpr.com/2010/08/22/umgang-mit-behinderten-menschen-euer-mitleid-kotzt-mich-an/

Tipps zum Weiterlesen:

Ableism

Was heißt Ableism? Überlegungen zu Behinderung und bürgerlicher Gesellschaft Text aus der arranca #43

„Leidmedien.de“ ist eine Internetseite für Journalistinnen und Journalisten, die über Menschen mit Behinderungen berichten wollen.

raul.de Seite des Aktivisten Raul Krauthausen mit vielen tollen Artikeln, Literaturtips und Links

 

 

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